November 11, 2005

day light


Genau, weil ihr immer alles so leicht nehmen müsst. Ist ja auch nichts leichter als das. Und du, warum nimmst du eigentlich alles auf die leichte Schulter? Obwohl, man denkt das immer so leichtblütig. Dein Atem aber, ich weiß nicht, seit gestern höre ich da ein leichtes Nebengeräusch. Damals fiel dir das leicht. Ich meine, jetzt, wo alles leichter geworden ist, braucht man sich auch nicht mehr zu beschweren, oder? Leichten Fußes kann man doch heute über manches hinwegsehen, ja und gehen vor allem. Für dieses leichte Mädchen war es auch wieder einfach. Die schafft jede Hürde mit Leichtigkeit. Links und rechts ein leichtes Lächeln und schon kapitulieren sie alle still und leise. Daran hab ich zwar leichte Zweifel, aber wen juckt's. Und dann bekam ich letzte Woche dieses leichte Ziehen. Ich kann noch nicht mal genau sagen wo. Vielleicht oberhalb, nein weiter unten, genau, genau, leicht daneben. Komisch, leicht verständlich ist das nun nicht gerade. Wo ich doch permanent versuche, es mir leichter zu machen. Es ist mir ansonsten ein Leichtes, etwas wegzustecken und normalerweise erleichtert mich eine Diagnose. Aber jetzt, wo er das nur so leicht dahingesagt hat? Ich bin nicht leichtgläubig, nein. Und so leicht lass ich mich auch nicht ins Bockshorn jagen. Erst recht nicht mit dieser leichten Ironie. Es könnte ja auch sein, dass er leicht übertrieben hat. Und dann steh ich da, obwohl das offenbar nur die leichtere Variante ist. Aber einen leichten Anflug von Hochmut hatte er schon in den Augen. Als ich noch Leichtathletik trainierte, ist mir das nicht passiert. Und man brauchte nur den leichten Übergangsmantel. Ja damals. Leichtfertig war ich eigentlich nie. Aber das sagt man auch so leichthin. Und dann fragt man sich, wie man leichten Herzens so etwas tun konnte. Das grenzt schon an Leichtsinn.

November 07, 2005

jetzt

Jetzt, in dieser Minute, beginnt seine Prüfung. Jetzt haben sie ihn begrüßt, ihm vielleicht schon die erste Frage gestellt. Jetzt.Vorhin, als er ging, wusste ich nichts zu sagen. Viel Glück, Hals- und Beinbruch, du schaffst das, ich bin bei dir, du kannst das. Nichts davon hab ich gesagt.

Es ist die Eintrittskarte in einen neuen Abschnitt. Ein Ja-Wort für die Zukunft. Eine Erlaubnis, mit Gewährung. Sie sagen ihm, was er dann auf sein Schild schreiben darf. Dann. Aber jetzt. Jetzt redet er, fünfundvierzig Minuten lang redet er über Unendliches. Er wird es abarbeiten. Die Listen, Tabellen, Definitionen hersagen, das Gewusste darbieten, sich verkaufen, von sich geben und sich hoffentlich vergeben, sollte dieses eine Detail ihm tatsächlich entfallen sein.
Jetzt. Ich kann nichts tun. Vorhin wollte ich noch eine Kerze anzünden. Mich in Gedanken zu ihm setzen mit den Karteikarten. Keinen Fuß werde ich vor die Tür setzen können, um ihm entgegen zu gehen. Vor dem Amt auf ihn warten, ihn begrüßen, mit Blumen, mit einem Geschenk?

Er war fröhlich heut morgen, mit einem seltenen Lächeln auf den weichen Lippen. Mit schweren Schritten ging er durch das Küchenzimmer. Ich holte den Anzug aus den Plastikhüllen der Reinigung. Das blaue Hemd roch frisch. Er hatte den Bart rasiert, nicht das Gesicht.

Ob er sich wohl fühlt. Bleibt er im Fluss. Wohlwollen? Gemeine Fragen? Fallen? Jetzt. Noch fünfzehn Minuten. Meine Finger starr und kalt. Ich habe kein Fest vorbereitet. Übertreibe ich. Soll ich ihn anrufen, dann? Was ihn fragen. Wie war es. Hattest du Angst.
Vier Minuten nach elf. Jetzt. Die vorletzte Frage. Das Wichtigste ist gelaufen. Jetzt gilt es, den Abschluss zu finden. Vielleicht die Krönung, vielleicht etwas ausbügeln, noch einmal den Bogen spannen. Gewissheit. Hat er sie schon.

Ich sitze gelähmt, ein Rausch. Ich bin keine Mutmacherin. Das musste ich jetzt abgeben. Da konnte ich nichts mehr tun. Er hat eine Kraft, von der ich nichts ahne. Ich hoffe nur das eine: dass sie ihm nicht dumm gekommen sind. Das irritiert ihn am meisten. Jetzt. Zehn Minuten nach elf. Die letzte Frage. Vielleicht reden sie schon ausgelassen. Er kann charmant und unmerklich einladen. Zu Konfrontation. Doch und das zu allererst zum Gespräch, zum Hin und Her der Argumente. Er lässt sich nicht abfragen.

Noch eine Minute. Jetzt schließen sie die Mappen. Werden sie sofort die Note wissen oder erst über sie beraten. Vielleicht ist es besser, dass ich ihn dort nicht abhole, erwarte.
Eine Uhr zeigt 11.12 h, die andere 11.16 h, die dritte sagt 11.14 h. Er wird mich anrufen, wenn er zum Auto geht. Wird mich nicht warten lassen. Noch länger.

11.20 h - gerade parkt er ein vor dem Haus.


November 05, 2005

eintritt

 
Vorworte werden meist zu bereits Geschriebenem verfasst - im Nachhinein. Und dennoch weisen sie voraus.
Nachrufe beschwören Vergangenes oder die gegangene Person. Sie rufen es, ihn oder sie wach. Weisen im Zurückblicken also ebenso voraus auf den künftigen Umgang mit dem Verbleibenden.

Nachworte markieren einen Punkt in diesem Kontinuum.